Dienstag, 21. September 2010

Im echten Leben gibt es auch nicht immer ein Motiv


Beim Drehbuchschreiben geht es ständig um Motivation. Zunächst natürlich um die eigene Motivation, sich überhaupt hinzusetzen und den bedrohlich blinkenden Cursor auf der leeren Seite zu besiegen. Ist das geschafft, ist der Autor früher oder später in einen Kampf mit seinen eigenen Figuren verwickelt. Sie müssen motiviert sein, die Dinge zu tun, die der Autor von ihnen will. Alles was sie tun, muss einen Grund haben, der logisch ist. Tun die Figuren etwas, was der Zuschauer nicht nachvollziehen kann, dann verliert man den Zuschauer sehr schnell. Er ist nicht länger bereit, der Filmhandlung zu folgen, weil er die Figuren nicht mehr glaubt und hinter ihnen den "Puppenspieler" erkennt. Alles, was passiert, fühlt sich dann nicht mehr echt, richtig oder nachvollziehbar an.

Ich habe in letzter Zeit drei Filme im Kino gesehen, bei denen die Motivationen nicht stimmen und die überraschenderweise trotzdem funktionieren.

Zunächst wäre da

The Expendables
Gesehen im: Cinedom, Köln, 3. September, 20 Uhr
Gesehen mit: Männern. Mit wem auch sonst?


Die einzige Motivation, die dieser Film hat, ist die, möglichst viele 80er-Jahre-Actionhelden zusammenzubringen. Die ballern sich unter der Führung von Sylvester Stallone durch einen hanebüchenen B-Movie-Plot, bei dem es sich nicht lohnt, ihn zusammenzufassen. Die Dialoge glänzen mit Sätzen wie "Ich bin so trocken, wie die Farbe trocken sein wird, wenn das Bild trocken ist".

Der Figuren sind nicht motiviert. Sie handeln stets so, dass sie möglichst viel ballern müssen - egal ob das in der Story nun Sinn macht oder nicht. Das funktioniert, weil die Figuren eigentlich keine richtigen Figuren sind. Der Film lebt davon, dass man sich als Zuschauer die ganze Zeit bewusst ist, dass man hier gealterte Schauspieler sieht, die sich gemeinsam auf ihre nostalgisch verklärte Kriegs-Spielwiese begeben haben, um sich nochmal richtig auszutoben. Am besten spiegelt sich das natürlich in der Szene wieder, in der Stallone auf Schwarzenegger trifft. Hier reden nicht zwei Filmfiguren miteinander sondern zwei Filmikonen. Daher sagen sie nichts, was für die Geschichte oder den Plot irgendwie wichtig wäre, sondern machen permanent Anspielungen auf ihre alten Filme oder das politische Engagement von Schwarzenegger. (Im Deutschen tun sie das übrigens beide mit der gleichen Synchronstimme!)



Als Film funktioniert der Film nicht - er erzählt keine sinnvolle Story, er hat keine glaubhaften Figuren. Er ist ein hohles Spektakel, das den alten Haudegen aber gegönnt sei. Und Spaß macht, weil es ihnen Spaß macht.

Etwas komplizierter wird es mit der Motivationsverweigerung in dem Film

Salt
Gesehen im: Cinedom, Köln, 31. August, 15 Uhr
Gesehen mit: Dem fast-schwedischen Buddie


Hier geht es um eine von Angelina Jolie gespielte Doppel-Agentin, die mal für die CIA, mal für die Russen Anschläge verübt, von beiden mal gejagt wird und ihren Ehemann retten muss, bei dem man schon nicht glaubt, dass er ihr Ehemann sein könnte. Mal ehrlich: Angelina Jolie und August Diehl? Schon da stimmt doch was nicht.

An dem Fim Salt stimmt auch vieles andere nicht. Kaum eine Handlungswendung ist logisch, immer passiert etwas unerwartetes, das im Nachhinein kaum einen Sinn ergibt. Und absurderweise stimmt gerade deswegen einiges an dem Film. Er hat sich die Motivationslosigkeit zum Programm gemacht. Hier tut die Hauptfigur immer das, was man eigentlich nicht von ihr erwartet. Also Dinge, für die sie überhaupt keine Motivation hat. Gerade das ist der Motor des Films. Die absurden Wendungen lassen den zunächst sehr geradlinigen Hide-and-Run-Plot (CIA-Agentin wird gejagt, weil sie eine Doppelagentin zu sein scheint) zu einem Puzzle werden, bei dem der Zuschauer permanent versucht herauszufinden, wie all die seltsamen Wendungen am Ende ein sinnvolles Ganzes ergeben.


Irgendwann ahnt man (spätestens nach der 32124238497. absurden Wendung), dass es das sinnvolle Ganze gar nicht geben kann. Doch weil der Weg ins recht abrupte Ende durch all die Irrwege sehr spaßig ist, ist man doch zufrieden. Weil man eben nicht den 23423479287. logischen aber langweiligen Aufguss eines Action-Plots gesehen hat, sondern weil man bei einem frechen Spiel mit den Erwartungen des Zuschauers dabei war.

Die völlige Verbannung jeglicher Motivation betreibt der Film

Gesehen im: Cinedom, Köln, 1. September, 21.30 Uhr
Gesehen mit: Freundin, Bruder von Freundin und einem Saal voll mit Fantasy-Filmfest-Fans


Der Film hat keine Motivation, aber absurderweise wird gleich in der ersten Szene die Motivation des Fims erklärt: "Dies ist ein Film über die Dinge, die grundlos passieren."
In dem Film, bei dem der Kerl Regie geführt hat, der in den 90ern die Stoffpuppe Flat Eric zu schrecklicher Musik mit dem Finger tippen ließ, kann alles passieren. Beziehungsweise es können nur Dinge passieren, die keinen Grund haben. Das heißt, sobald irgendetwas aufgrund irgendeiner erkennbaren Motivation passieren sollte, würde es nicht mehr in den Film passen. Um das deutlich zu machen, bleibt mir eigentlich nur, die Handlung von Rubber zusammenzufassen:

Ein Publikum steht in der Wüste und bekommt Ferngläser. Mit denen soll es einen Film gucken, der aber kein Film ist, sondern ein Autoreifen. Dieser Autoreifen rollt von selbst durch die Wüste und lernt, dass er Dinge zum explodieren bringen kann, wenn er sich stark konzentriert. Der Reifen verliebt sich in eine Frau und beobachtet sie beim Duschen. Ein paar Polizisten wollen den Reifen fangen. Einige von ihnen wissen, dass sie nur Filmfiguren sind, andere glauben, sie seien echte Polizisten - und das obwohl einer von ihnen ein Stofftier statt einer Pistole hat. Statt den Reifen zu fangen, beginnen die Polizisten, das Publikum in der Wüste zu töten, indem sie ihm vergiftetes Fleisch geben. Doch ein Zuschauer überlebt, weswegen die Polizisten weiter den Reifen jagen müssen...


Um diesen Quatsch noch mitzumachen, muss man wirklich jedes logische Denken über Bord werfen. Das macht Spaß, wenn man es einmal geschafft hat. Doch es ist nicht einfach, es zu schaffen.

Denn im Kino ist man ja doch darauf trainiert, die Plausibilität der Handlung ständig zu hinterfragen. Obwohl im echten Leben ja auch ständig Dinge passieren, die nicht erwartbar sind oder sogar keinen Sinn machen.

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