Mittwoch, 19. Dezember 2012

Dieser kleine Post kann großes Bewirken

Meine Analyse zum "Hobbit" (genauer: "Der Hobbit - eine unerwartete Reise") soll mit einem Filmnerd-Tabubruch beginnen: Ich werde das Ende spoilern. Na ja, eigentlich ist es ja gar nicht das Ende. Das kommt ja erst im dritten Film in zwei Jahren. Daher ist es wohl auch nur ein Drittel-Tabubruch. Also: Am Ende fliegt eine Drossel dem Horizont entgegen und die tapferen Zwerge, der weise Gandalf und der frisch zum wahren Meisterdieb ernannte Bilbo Beutlin schauen ihr hoffnungsfroh hinterher. Nur der Zuschauer beobachtet, wie die Drossel sich in ihrem Nest am Berg Erebor niederlässt und mit dem Schnabel zu picken beginnt. Das "PICK PICK PICK" hallt in den Berg hinein, verstärkt sich und wird in der Schatzhöhle, die die tapferen Zwerge und Meisterdieb Beutlin erobern wollen, so laut, dass der Drache Smaug davon erwacht. Cliffhanger - wir sehen uns wieder im Jahr 2013.


In dieser letzten Szene wird eindrucksvoll das zentrale Thema des Films zusammengefasst, das Peter Jackson immer wieder sehr bewusst einsetzt: Das Kleine (Drossel) beeinflusst das Große (Drache). "Der Hobbit" ist voll mit weiteren Beispielen, ich will einmal ein paar aufzählen, die mir von der dreistündigen (und mit 48 Bildern pro Sekunde doppelt so schnellen) Achterbahnfahrt in Erinnerung geblieben sind:

- Ein kleiner Winddrache kündigt gleich zu Beginn die Ankunft des großen Drachen Smaug an.
- Gandalf zeichnet ein kleines Symbol auf Bilbos Tür und löst so einen großen Zwergenansturm aus.
- Radagast entkommt mit seinen kleinen Rennkaninchen den großen und mächtigen Wargen.
- Der Orkkönig ruft mit dem kleinsten Ork der unterirdischen Stadt seinen mächtigsten Krieger herbei.
- Gandalf vertreibt mit kleinen brennenden Tannenzapfen die große Ork-Angriffswelle.
- Gandalf ruft mit einem kleinen Schmetterling die mächtigen Adler herbei.
- Bilbos Schwert Stich ist die kleinste Waffe im Film ("Brieföffner" wird sie an einer Stelle genannt), hat aber die mächtigste Wirkung.
- Natürlich gibt es da noch den kleinen aber mächtigen Ring.

Und so weiter. Alle Beispiele spiegeln das Grundthema des Films wieder: Bilbo ist ein kleiner Hobbit, dem von Gandalf mächtige Taten zugetraut werden. Etwa in der Mitte des Films fragt Galadriel Gandalf, warum er "den Halbling" für die Mission ausgewählt hat. Gandalf hat keine rechte Antwort, doch natürlich weiß er in seinem Herzen, dass die kleinsten Dinge die mächtigsten Wirkungen entfalten können. Das ist das Thema des Films - Thorin Eichenschild glaubt nicht, dass der kleine Hobbit irgendeinen Nutzen haben kann. Bilbo glaubt es ja selbst nicht einmal. Am Ende hat er sich selbst und den Zwergen bewiesen, dass er tatsächlich das Potenzial hat "der Meisterdieb" zu sein, den Gandalf in ihm sieht. Jetzt hat Bilbo noch zwei Filme lang Zeit, dieses Potenzial auch auszuschöpfen.

Man kann sogar sagen, dass die Regel formal eingehalten wird. Das kleine Buch "Der Hobbit" entfaltet sich zu einer gigantomanischen Geschichte über drei Filme. Das mag übertrieben sein, mir gefällt die epische Länge des ersten Films. Es ist doch wunderbar, dass hier tatsächlich das Experiment versucht wird, wirklich ALLES aus einem Buch zu verfilmen und auf nichts zu verzichten. Ich habe mir als Kind oft gewünscht, dass meine Lieblingsbücher in all ihrer Reichhaltigkeit und Komplexität ihre Leinwand-Entsprechung finden. Peter Jackson gelingt beim "Hobbit" das Kunststück, den Roman komplett abzubilden und die Story trotzdem in eine filmische Dramaturgie zu packen. Das gelingt vor allem, weil er sich des zentralen Themas dieses ersten Teils der Reihe bewusst ist und wie oben erläutert dieses Thema immer wieder in verschiedenen Variationen nutzt und darstellt. Der Film handelt von den kleinen Dingen, die Großes bewirken und zwar konsequent von der ersten bis zur letzten Einstellung. Daher wirkt der Film dicht, rund und kurzweilig, obwohl er drei Stunden lang und eigentlich nur Teil einer Geschichte ist.

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