Freitag, 13. Dezember 2013

Der gruseligste Adventskalender der Saison... #13

Achtung! Diese weihnachtlich-traurige Gruselgeschichte startet bei TÜRCHEN 1!
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TÜRCHEN 13

Lotte stützte sich auf die Kommode und starrte ihr Spiegelbild an. Sie hasste, was sie sah. Ein verschüchtertes Ding mit tränennassen Augen, beschlagenen Brillengläsern – und wunderschönen neuen Ohrringen. „Reiß dich zusammen!“ befahl Lotte dem Ding im Spiegel. „Da ist nichts im Wohnzimmer. Du hattest eine Vision oder so. Einen Tagtraum, der von der ganzen Scheiße kommt, die du in den letzten Jahren ertragen musstest.“ Ein kaputter Vater, der abgehauen und eventuell sogar tot war. Der niemals so stark war, sich mit dem Tod seiner jüngsten Tochter abzufinden. Eine alleingelassene Mutter, die gerade die Kraft aufbrachte, sich durch ihr Leben zu schleppen. Aber Lotte war nicht so wie ihre Eltern! Sie hatte alles zurückgelassen, um neu zu beginnen! „Du bist stark!“ beschwor sie ihr Spiegelbild. „Du bist stark!“
Sie würde jetzt ins Wohnzimmer gehen und feststellen, dass es da kein Geschenk, kein Glanzpapier und keinen Zahn gibt. Sie würde ihr Handy wieder einschalten, Anja zurückrufen und ihr sagen, dass sie sich keine Sorgen machen muss. Und dann würde sie wie geplant ein paar Folgen „Game of Thrones“ anschauen und sich darüber freuen, dass die Adelsfamilien in der Serie deutlich verdorbener und kaputter waren als ihre eigene.

Lotte wendete sich von ihrem Spiegelbild ab und trat auf die Wohnzimmertür zu. In diesem Moment erklang ein zaghaftes Klingeln, das Lotte durch Mark und Bein fuhr. Es war ein Klingeln aus einer längst vergangenen Zeit. Aus einer Zeit, in der noch alles gut war. Es war das leise Schellen, das immer aus dem Zimmer gekommen war, nachdem das Christkind alles vorbereitet hatte und einfach so Geschenke niedergelegt hatte. Mama hatte dann die Tür geöffnet und gerufen: „Das Christkind war da!“ Und Lotte war ganz vorsichtig ins Zimmer getreten, hatte sich ein wenig gegruselt, weil das Christkind ja durch Wände gehen konnte und hatte sich dann vom Weihnachtsbaum und den Geschenken überwältigen lassen.

Nein, dieses Klingeln kannst du gerade nicht gehört haben. Dachte Lotte. Doch als hätte jemand im Zimmer nebenan ihre Gedanken gelesen, klingelte es erneut leise – wenn auch nicht mehr ganz so zaghaft wie beim ersten Mal. Lotte ging vorsichtig ein paar Schritte zurück zur Wohnungstür. Du bist nicht verrückt. Da hat jemand geklingelt. Im Wohnzimmer ist jemand und klingelt. Der selbe jemand, der auch das Geschenk mit dem Schneidezahn abgelegt hat. Er muss sich irgendwo versteckt haben. In Anjas Zimmer oder in deinem. Und als du in der Küche und auf der Toilette warst, hat er das Geschenk abgelegt. Und jetzt steht er im Wohnzimmer und klingelt…Lottes Stimme zitterte. Ihre Hand wurde schweißnass, so dass sie glaube, ihr würde jeden Moment das Telefon entgleiten. „Da… Da war ein Päckchen im Wohnzimmer. Mit Glanzpapier. Ich dachte, es wäre von dir. Und darin war ein Kästchen. Mit einem Schneidezahn drin.“ In dem Moment traten Tränen in Lottes Augen. „Das hat mir Angst gemacht, Anja. Das ist nicht lustig.“
„Lotte, in unserer Wohnung war seit Tagen niemand mehr außer dir und mir. Außer du hast heimlich Typen mit nach Hause gebracht, ohne dass ich etwas davon mitbekommen habe.“
„Nein... Natürlich nicht.“
„Und ich schwöre dir, dass ich kein Päckchen zurückgelassen habe. Ich wolle dir etwas kaufen, aber du hast so bestimmt gesagt, dass du absolut gar nichts von Heiligabend wissen willst, da habe ich es gelassen. Und wenn schon, warum sollte ich dir einen Zahn schenken? Hältst du mich für pervers.“
„Nein... Ich weiß nicht. Weil ich dir erzählt habe, dass ich als Kind meiner Schwester mal einen ausgeschlagen habe… Das klingt bescheuert, aber…“
„Das hast du mir nie erzählt. Sprichst du von deiner Schwester, die gestorben ist?“
„Ja, von Birte.“
„Lotte, jetzt höre mir bitte zu. Ich glaube, dass es nicht gut ist, dass du alleine bist. Bitte gehe irgendwo hin.“
„Nein, mir geht es gut, ich…“
„Falls es stimmt, was du sagst, geht es dir entweder nicht gut oder es ist irgendein stranger Typ am Werk, der… Ach, ehrlich gesagt glaube ich, es geht dir nicht gut. Geh zu Frau Quandt. Du weißt doch, wo sie wohnt.“

Lotte schluchzte unvermittelt. Anja hielt sie für verrückt! Frau Quandt würde sie auch für verrückt halten. Und dann würde sie ihre Wohnung verlieren. Dann würden alle denken, dass sie alleine nichts geregelt bekommen würde, weil sie aus einer schwierigen Familie kommt und dann… „Es ist schon gut. Danke! Frohe Weihnachten!“, sagte Lotte schnell und legt auf. Kaum zwei Sekunden später kam ein Rückruf von Anja. Doch Lotte hielt den Power-Knopf des Smartphones so lange gedrückt, bis es still wurde und das Display erlosch.


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