Montag, 16. Dezember 2013

Der gruseligste Adventskalender der Saison... #16

Achtung! Diese weihnachtlich-traurige Gruselgeschichte startet bei TÜRCHEN 1!

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TÜRCHEN 16

Johanna Quandt und ihre ältere Schwester Mathilde schenkten sich wie jedes Jahr nach dem Weihnachtsessen zwei Gläser Pflaumenschnaps ein und prosteten sich zu. Die beiden Damen verbrachten seit unzähligen Jahren ihr Weihnachtsfest gemeinsam. Johannes Mann Herbert war bereits in den 60er Jahren an einem Herzinfarkt gestorben. Mathildes Carl war Herbert zwanzig Jahre später ins Jenseits gefolgt, nur dass sein Ticket Bauspeicheldrüsen-Krebs gewesen war. Und seit Mathildes Sohn Thomas mit seiner Familie in Amerika lebte, feierten die beiden ihr Weihnachten nur noch zu zweit. Thomas hatte sie schon oft eingeladen, in den USA mit der Familie zu feiern. Doch erstens mochten beide Damen das Fliegen nicht und zweitens konnten sie einer amerikanischen Weihnacht, die mehr mit Disneyland als mit der Geburt des Messias zu tun hatte, nichts abgewinnen. Sie saßen nach dem Kirchgang lieber zusammen in Johannas Wohnung, aßen Weihnachtsgans und tranken Pflaumenschnaps, während sie sich im Fernsehen einen Heimatfilm anschauten. In diesem Jahr passierte etwas unvorhergesehenes. Kaum hatte Johanna den Schnaps ausgeschenkt, klingelte das Telefon. „Da gehe ich nicht ran“, bellte sie. „Wie kann man die Leute an Heiligabend nur belästigen?“
„Wahrscheinlich nur, wenn es etwas wichtiges es. Gehe besser ran“, empfahl Mathilde. Johanna wartete kurz, ob es noch einmal klingeln würde, dann erhob sie sich seufzend und schlurfte zum Tischchen im Flur, auf dem ein Telefon mit Wählscheibe stand, das Johanna vor über 40 Jahren von der Post bekommen hatte. Sie hob ab. „Quandt.“

Im Nebenzimmer stellte Mathilde den Ton des Fernsehers leiser. Sie spitzte die Ohren, als sie ihre Schwester „Nun beruhigen Sie sich, Kindchen. Erzählen sie alles schön der Reihe nach. Wer sind Sie?“, sagen hörte.
„Anja Wagner. Ihre Mieterin“, sagte das aufgeregte Mädchen am Ende der Leitung.
„Und wie kann ich Ihnen helfen?“ fragte Johanna. „Ich dachte, Sie seien in München.“
„Bin ich auch. Aber meine Mitbewohnerin Charlotte Mertens, Sie erinnern sich…“
„Ich bin ja noch nicht dement. Was ist mit ihr? Sie sagten doch, dass Sie sie nach München mitnehmen würden über Weihnachten. Ich hatte Sie gefragt, als ich wegen der Nebenkosten bei Ihnen war. Sehen Sie mal, wie gut mein Gedächtnis ist.“
„Ja, das hatte ich vor“, antwortete Anja. Johanna hatte das Gefühl, das Mädchen würde jeden Moment zu weinen beginnen. „Aber sie ist in Köln geblieben – und jetzt geht es ihr nicht gut. Sie rief mich an und…“
„Ja, was denn?“
„Sie erzählte etwas von einem Geschenk, das plötzlich in der Wohnung war und in dem ein Zahn war oder so. Es hat irgend etwas mit ihrer toten Schwester zu tun.“
„Hören Sie, es ist Heiliger Abend und es ist sehr geschmacklos heute – oder überhaupt! – solche Scherze zu machen!“ schimpfte Johanna. Doch sie warf Mathilde einen besorgten Blick zu.
„Ich weiß, es klingt alles völlig verrückt. Darum glaube ich ja auch, dass es Charlotte nicht gut geht. Ich wäre beruhigt, wenn Sie nach ihr sehen würden.“
„Ich sage Ihnen, wenn das ein Scherz ist und Sie mich jetzt grundlos in die Nacht hinaus…“
„Nein, nein. Wenn Sie nicht gehen wollen, dann rufe ich die Polizei und…“
„Ha! Das fehlt mir noch. Polizei am Heiligen Abend in meinem Haus kann ich nicht gebrauchen. Haben Sie versucht, Ihre Freundin anzurufen?“
„Ja, unzählige Mal. Vor fünf Minuten noch. Aber sie hat wohl ihr Handy ausgeschaltet…“
Johanna seufzte. „Nun gut, ich werde nach dem Rechten sehen. Aber ich sagen Ihnen eins: Wenn das ein Scherz ist, dann sind Sie die längste Zeit meine Mieterin gewesen.“
„Es ist kein Scherz, es ist keiner! Vielen Dank für die Mühen, Frau Quandt! Vielen Dank! Und Frohe Weihnachten!“
„Die wünsche ich Ihnen auch“, verabschiedete sich Johanna und klang dabei überraschend mild.

Sie legte auf. Mathilde war bis in den Türrahmen gekommen. „Wir müssen zum Mietshaus fahren“, sagte Johanna. „Es ist ein Mädchen dort und hat gewisse Probleme.“
Mathilde schlug sich die Hand vor den Mund. Sie neigte zur Theatralik (und zur Tratscherei). „Ich dachte, du hättest dafür gesorgt, dass heute niemand dort ist.“
„Das dachte ich“, antwortete Johanna, schlurfte zur Garderobe und nahm ihren Mantel. Mathilde trank in einem Zug den Rest ihres Pflaumenschnapses aus.

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