Donnerstag, 19. Dezember 2013

Der gruseligste Adventskalender der Saison... #19

Achtung! Diese weihnachtlich-traurige Gruselgeschichte startet bei TÜRCHEN 1!

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TÜRCHEN 19


Lotte ließ sich erschöpft aufs Sofa sinken und betrachtete die Geschenke. Vor ihr lag all das Zeug, das Mama eine Woche nach Weihnachten (kurz nach Birtes Tod) weggeworfen hatte. All das Zeug, das Lotte nicht mehr verdient hatte, weil Birte tot war. Lotte ballte ihre Hände zu Fäusten und starrte auf die Spielsachen, die aus einem Berg von zerrissenem Geschenkpapier zu wachsen schienen. Sie hatte sich damals über all diese Sachen gefreut. Und dann hatte sie jedes einzelne Teil vergessen. Genau wie sie vergessen hatte, dass Mama sie weggeworfen hatte. Doch nicht nur das: Sie hatte auch die paar Tage vergessen, in denen Birte und sie mit all den Sachen gespielt hatten. Und jetzt waren alle Erinnerungen wieder da.

Lotte wusste nicht, warum genau sie zu weinen begann. Aus Selbstmitleid, weil ihr vor Augen geführt wurde, dass sie ihrer Kindheit beraubt worden war? Aus Trauer über Birtes Tod? Aus Schock, weil sie alles verdrängt hatte? Sie nahm ihre Brille ab und sah alle Geschenke nur noch verschwommen und unscharf. Wie Präsente aus einer Geisterwelt. Was sie ja auch streng genommen sind, oder?
Sie setzte die Brille wieder auf und trat ans Fenster. Der Schneeregen war stärker geworden. Dicke Flocken und dünne Regentropfen flogen durch das Licht der Straßenlaternen. Das Haus gegenüber war nun komplett dunkel. Selbst der grell leuchtende Weihnachtsstern war ausgeschaltet. Es war beunruhigend, dass draußen alles normal zu sein schien, wo doch hier im Zimmer überhaupt nichts normal war.
„Magst du die Geschenke nicht?“ fragte plötzlich ein schwaches Stimmchen. Lotte glaubte zunächst, die Stimme sei nur in ihrem Kopf. Doch dann sagte sie energischer: „Hey! Ich habe dich etwas gefragt!“ Lotte wendete sich vom Fenster ab. Zwischen dem Weihnachtsbaum und den Geschenken stand ein Mädchen in einem weißen langen Kleid, das mit goldenen Sternen geschmückt war. Das Kind hatte gewelltes blondes Haar, weiße Haut und leicht gerötete Wangen. Das Christkind. Dachte Lotte. Der Plattenspieler spielte „Oh du Fröhliche“. Die Schatten der Weihnachtspyramide tanzten über die Decke, die Kerzen des Weihnachtsbaums flackerten nicht. Das Kind wirkte erhaben inmitten dieses Szenarios, als könnte es jeden Moment schwebend vom Boden abheben.


„Erkennst du mich nicht?“ fragte das Mädchen mit dem dünnen Stimmchen. Lottes Knie wurden weich, als ihr klar wurde, dass sie vergessen hatte, wie ihre Schwester aussah. Das Kind in dem Christkind-Kostüm war Birte.

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