Montag, 23. Dezember 2013

Der gruseligste Adventskalender der Saison... #23

Achtung! Diese weihnachtlich-traurige Gruselgeschichte startet bei TÜRCHEN 1!
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TÜRCHEN 23

Lotte lag zusammengekrümmt auf dem Boden und starrte an die Decke. Die Schatten der Weihnachtspyramide zogen gleichmäßig über sie hinweg. Doch es lag kein weihnachtlicher Duft mehr in der Luft. Die Schatten wirkten bedrohlich, als kämen sie von einem Kampf-Hubschrauber, der sich aus der Ferne näherte, um auf Lotte den Beschuss zu eröffnen. Sie hatte die Knie an sich herangezogen. In Fötusstellung hoffte sie wimmernd, dass sie Erkenntnis, die über sie hereingebrochen war, nur ein Alptraum war. Dass sie aufwachen und sofort alles wieder vergessen haben würde, was ihr mit einem Schlag ins Bewusstsein gerauscht war. Du hast Birte getötet. Mama hatte recht: Du bist Schuld, dass sich die Familie aufgelöst hat!

Vorsichtig drehte Lotte ihren Kopf zu Birte und sagte: „Es tut mir so leid. Ich war ein Kind. Ich wusste nicht, was ich tue.“
„Du wolltest, dass ich sterbe. So wie du mir weh tun wolltest, als du mir den Zahn ausgeschlagen hast“, sagte Birte. Sie stand inmitten der Geschenke. Alle Playmobil-Figuren hatten sich neben ihr in Reih und Glied aufgebaut und starrten Lotte aus leeren grinsenden Gesichtern an. Birtes Gesicht hatte nichts Kindliches mehr. Sie sah Lotte mit eiskalter Miene an. Birte wirkte alt: Wie eine 20-Jährige im Körper eines Kindes. Wie Lotte, die auf unter einen Meter zusammengestaucht worden war. „Du hast mich umgebracht und musst bestraft werden.“
Lotte nickte. „Ja, ja, du hast recht.“ Tränen rannen in Bächen über ihr heißes Gesicht und schlugen platschend aufs Parkett. Birte war tot, Papa war tot, Mama wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben… Ich habe alles kaputt gemacht und muss bestraft werden.
In dem Moment sagte die kleine Birte (Mein kleines Ich) mit strenger kalter Stimme: „Kwisitas – Fass!“
Und obwohl Lotte an diesem Abend schon die verrücktesten Dinge gesehen hatte, konnte sie nicht glauben, was in diesem Moment geschah: Der Plüschdrache neben Birte schlug mit seinen dünnen Stoff-Flügeln und hob ein Stück vom Boden ab. Die angenähte Flamme verwandelte sich in echtes Feuer, so als hätte der Drache einen Bunsenbrenner im Maul.
Lotte konnte den leichten Lufthauch der schlagenden Flügel auf ihrem Gesicht spüren, als der Drache einmal um Birte herum flatterte. Die Playmobil-Figuren bewegten sich ebenfalls und wankten mit ihren steifen Hüften zum Puppenhaus. Sie setzten sich davor und und hoben und senkten ihre Arme, während sie ihre Köpfe nach links und rechts drehten – wahrscheinlich ihre einzige Möglichkeit, zu jubeln. In die Hände klatschen konnten sie nicht. Das aufgemalte Grinsen der Figuren kam Lotte zynisch vor. Kalte Angst packte sie, als ihr klar wurden, dass die Playmobil-Männchen sich hingesetzt hatten, um als voyeuristische Zuschauer ihrer Hinrichtung beizuwohnen. Kwisitas, der freundliche Bunsenbrenner-Drache, flog jetzt um den Weihnachtsbaum herum und spie eine Stichflamme, die eindrucksvoller und länger war, als Lotte es für möglich gehalten hätte. Der Baum fing Feuer. Flammen griffen in atemberaubender Geschwindigkeit von Zweig zu Zweig und verwandelten die weihnachtliche Pracht in einen knisternden Scheiterhaufen. Wie ein teuflischer Racheengel stand Birte vor dem flammenden Inferno und fixierte ihren starren Blick auf ihre Schwester, die sie durch eine kindische Dummheit umgebracht hatte.

Kwisitas flog mit weit aufgespannten Plüsch-Flügeln über Birtes Kopf hinweg. Vor dem brennenden Weihnachtsbaum wirkte es so, als käme der Drache direkt aus dem Fegefeuer, um über Lotte zu richten. Lotte krabbelte hilflos ein paar Meter zurück und strampelte mit den Beinen, die in der Kuschelhose mit der Maus und dem Elefanten steckten. Sie war jetzt das Kind! Und Birte richtete über sie. Als Lotte versuchte, sich aufzurichten, schoss eine lange tödliche Flamme aus Kwisitas‘ Maul und umhüllte Lotte heiß und unnachgiebig. Irgendwo ganz weit weg hörte sie ein Klingeln.

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