Dienstag, 24. Dezember 2013

Der gruseligste Adventskalender der Saison... #24

Achtung! Diese weihnachtlich-traurige Gruselgeschichte startet bei TÜRCHEN 1!
Hier endet die Geschichte mit:

TÜRCHEN 24

Die Hitze umschloss Lottes Gesicht, doch dann wurde das Klingeln, das zuerst nur schwach geklungen hatte, plötzlich lauter. Es breitete sich im Raum aus und schien wie Wasser auf das Feuer zu wirken. Krrrrrrrling! Lotte erkannte das Geräusch als das der Türklingel. Es schrillte laut durch den Raum und vertrieb die Hitze. Als das Klingeln verklungen war, war alles wieder still. Vorsichtig blinzelte Lotte in den Raum hinein. Sofort sah sie, dass der Weihnachtsbaum verschwunden war. Hier brannte nichts mehr.

Mutig schlug sie die Augen auf. Die Geschenke waren ebenfalls verschwunden. An der Decke tanzten keine Schatten. Nirgendwo brannte eine Kerze. Lotte drückte auf den Steg zwischen ihren Brillengläsern, um die verrutschte Brille am Nasenbein hochzuschieben.
Vorsichtig erhob sie sich und bewegte sich tastend zur Wand. Sie sah sich immer wieder ruckartig um, da sie damit rechnete, jeden Moment von irgendwoher angegriffen zu werden. Von einem Plüschdrachen, einer wild gewordenen Playmobil-Meute, einem Geisterkind… Doch nichts passierte. Nachdem Lotte den Lichtschalter gedrückt hatte, sah sie im nüchternen Licht der Deckenlampe, dass das Wohnzimmer wieder genauso aussah wie zu Beginn des Abends. Spartanisch und ohne jeden Weihnachtsschmuck. Auf dem Wohnzimmertisch lag Lottes zugeklappter Laptop. Daneben die Ohrringe, die sie ausgezogen hatte, um mit Birte zu spielen. Warum hast du das getan? Wolltest du wieder Kind sein und mit deiner Schwester spielen? War Birte wirklich hier gewesen? Wollte sie dich umbringen?

Lotte ging zum Tisch, nahm die Ohrringe und betrachtete sie analytisch. Wenn das alles wirklich passiert war: Wieso lebte sie dann noch? Wieso war sie nicht bestraft worden?
Plötzlich klopfte es an der Tür. Lotte schreckte auf und ging ein paar Meter auf die Tür zu. Was mochte sich dahinter wieder für eine Überraschung verbergen? Was hatte die Nacht mit Lotte noch vor? „Hallo?“ fragte sie mit zitternder Stimme.
Hinter der Tür hörte sie ihre kauzige Vermieterin: „Guten Abend. Hier ist Frau Quandt. Ist alles in Ordnung bei Ihnen?“
„Ähm…“ Wie kommt die denn hierher? Ist sie mit der Polizei angerückt, um mich in die Klapse einzuweisen oder… „Ja, es ist alles in Ordnung. Machen Sie sich keine Sorgen.“
Frau Quandt antwortete durch die Tür: „Hier ist Besuch für Sie. Aber ich weiß nicht, ob sich die Tür öffnen lässt, denn…“ Lotte versuchte es. Sie drückte die Klinke nach unten und tatsächlich war die Tür nicht mehr verschlossen. Langsam zog sie sie auf. Frau Quandt und eine alte Dame, die Lotte noch nie zuvor gesehen hatte, blickten neugierig ins Wohnzimmer.
„Waren hier Gespenster?“ fragte die alte Dame neben Frau Quandt neugierig. „Wir haben völlig verrückte Geräusche gehört!“

Sie schob ihren Kopf in den Raum und gab den Blick auf eine dritte Person im Flur frei. Hinter den beiden Alten stand Mama. Johanna Quandt erklärte: „Wir haben uns erlaubt, an Ihr Telefon zu gehen. Ihre Mutter war am Hauptbahnhof und hat nach Ihrer Adresse gefragt.“
Lottes Mutter machte einen Schritt auf ihre Tochter zu. Sie trug einen langen schwarzen Wintermantel, der mit Schneeflocken übersät war. „Ich habe deine E-Mail gelesen“, sagte sie vorsichtig. „Und ich dachte, dass du recht hast. Es ist gut, dass wir heute nicht zusammen feiern. Aber dann habe ich zu Hause vor dem Fernseher gesessen und an Birte gedacht. Ich wollte dich sehen... Es tut mir leid.“

Lotte stürmte auf ihre Mutter und fiel ihr um den Hals. „Es ist alles meine Schuld gewesen“, schluchzte sie. „Ich habe auf den roten Knopf gedrückt und Birtes Gurt gelöst. Hätte ich das nicht getan, dann würde sie noch leben. Dann wäre alles gut!“
„Dein Vater und ich waren an dem Unfall schuld“, unterbrach Mama. Sie drückte Lotte eng an sich und streichelte mit beiden Händen durch ihr Haar. Während Lotte sich schluchzend in ihrem Pullover vergrub, flüsterte Anna Mertens ihrer Tochter zärtlich ins Ohr: „Ich war schrecklich zu dir... Nichts war jemals deine Schuld...“ Sie küsste Lottes Stirn, woraufhin Lotte sich von ihrer Mutter löste und sie lächelnd ansah. Lotte nahm die Hand ihrer Mutter und drückte sie. „Danke, dass du gekommen bist“, sagt sie. „Du hast mich gerettet.“
„Wie meinst du das?“ fragte Mama. Sie lächelte auch. Lotte hatte das Gefühl, ihre Mutter noch nie so glücklich gesehen zu haben.
„Ich weiß es nicht genau. Aber ich glaube, du hast mich gerettet.“
Plötzlich mischte sich Johanna Quandt von der Seite ein. „Und ich glaube, wir haben noch etwas Weihnachtsgans zu Hause. Wenn Sie mögen, sind Sie herzlich eingeladen, mitzukommen.“
„Und einen Pflaumenschnaps können Sie auch gut vertragen“, sagte Mathilde Quandt, die aus dem Wohnzimmer zurück in den Flur kam. Sie schüttelte sich und fügte hinzu: „Nach allem, was hier passiert ist.“
„Was ist denn nur passiert?" fragte Mama halb verwirrt und halb neugierig. Lotte antwortete wieder nur: „Egal was es war: Du hast mich davor gerettet.“


Bevor sie die Wohnung verließen, warf Lotte einen letzten Blick zurück ins Wohnzimmer. Im leeren Raum funkelte sie etwas hell und deutlich an: Zwischen Tisch und Sessel lag Birtes Schneidezahn. Lotte wusste, dass sie nur knapp entkommen war. Ein Unfall war passiert, der ihre Familie zerstört hatte. Eine Katastrophe, in die ihre Familie mit Vollgas heinein gerast war. An ihr hatte niemand Schuld, aber sie war unausweichlich gewesen. Lotte und ihre Mutter hatten überlebt. Heute Nacht waren sie nur knapp entkommen und hatten die Chance bekommen, es besser zu machen. Die Überlebenden haben den Toten gegenüber die Pflicht, es besser zu machen.

Während Lotte ihren Blick abwendete, verschwand der Schneidezahn. Deshalb sah Johanna Quandt ihn nicht, als sie noch einmal überprüfte, ob im Wohnzimmer alles in Ordnung war. Sie würde später von der jungen Mieterin ganz genau wissen wollen, was heute Abend passiert war. Und wenn sich bestätigte, was sie vermutete, dann würde sie ihrer Schwester Mathilde mitteilen, dass diese Wohnung niemals wieder vermietet werden würde…

2 Kommentare:

  1. Großartig!

    Und nächstes Jahr gibt's dann die Verfilmung?

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  2. Neee,wenn dann noch ne Geschichte. Eine Idee habe ich schon. Und dann würde ich gerne eine "Weihnachts-Horror-Story-Sammlung" veröffentlichen. ;)

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